Wohnungsbau XXL in TXL?

Podiumsdiskussion über die Perspektiven für die Nachnutzung von Tegel im Rahmen des AIV-Schinkel-Wettbewerbs „Transformation TXL“ am 11. April 2013. Ralf Schönball, Redakteur beim Tagesspiegel, moderierte das Gespräch im Haus des Verlages.

Auf Einladung des Architekten- und Ingenieur-Vereins zu Berlin und des Tagesspiegel als Medienpartner des Vereins nahm Staatssekretär Ephraim Gothe als Vertreter der Senatsverwaltung Stellung zu den Planungen des Senats für die Nachnutzung des Tegeler Flugfeldes.

Dr. Philip Bouteiller, Geschäftsführer der Tegel Projekt GmbH, die im Auftrag des Senats die Nachnutzung plant, stellte den Masterplan vor, der eine Entwicklung des unter dem Schlagwort „Urban Tech Republic“ vermarkteten Flugfeldes als Wissenschafts- und Industriepark vorsieht. Insgesamt ist dafür eine Fläche von 80 Hektar vorgesehen, die Terminalgebäude bilden das Zentrum. Nach neuesten Informationen sehen die Pläne auch bis zu 2300 Wohnungen vor, die Berlin dringend braucht. Denn einer Prognose der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zufolge werden für Berlin insgesamt 122.000 neu zu bauende Wohnungen für die nächsten 12 Jahre benötigt.

Die Stadtforscherin Johanna Schlaack von der TU Berlin brachte internationale Vergleiche ein aus ihrer Forschung über die Konversion von Flughäfen in der Diskussion.

Auf die Frage von Moderator Ralf Schönball, Redakteur beim Tagesspiegel, ob ihn das Konzept der Tegel-Projekt überzeuge, antwortete Prof. Hans Joachim Aminde, der zusammen mit Prof. Dr. h.c. Wolfgang Schuster als weiterem Vorstandsmitglied für den AIV teilnahm: „Die Frage nach der Gesamtkonzeption bleibt offen“.

Der Architekt erläuterte anhand von Entwürfen von Preisträgern des AIV-Schinkel-Wettbewerbs 2013 „Transformation TXL – Vom Flugfeld zum Lebensraum“, wie die Masterplanungen ergänzt und weiter gedacht werden könnten. Pläne, die deutlich mehr Wohnbebauung vorsehen und weitere Ideen für eine nachhaltige und umweltverträgliche wie ressourcenschonende Entwicklung skizzieren. So sehen die Schinkelpreisträger (Architektur) Dagmara Sietko-Sierkiewicz und David Weclawowicz, beide schließen dieses Jahr ihr Masterstudium an der TU Breslau ab, eine Mischung von stadtverträglicher Produktion und Wohnen in einem Gebäude vor.

Bild: Dagmara Sietko-Sierkiewicz und David Weclawowicz

Oder die mit dem Preis für Nachhaltigkeit des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ausgezeichneten Entwürfe von Kyeong Hee Seo (Universität Stuttgart), die sogar den Bau von 40.000 Wohnungen vorsieht und neben einem neuen Quartier auf dem Flugfeld auch die Nachverdichtung der Cités Gynemer und Pasteur und vieles mehr vorschlägt.

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Bild: Kyeong Hee Seo

Viel zu klein geplant sei auch die avisierte Ansiedlung der Beuth-Hochschule als Kern der Entwicklung einer Kooperation von Industrie und Wirtschaft, stellte Prof Wolfgang Schuster fest, die wirtschaftliches, soziales und ökologisches Zusammenleben für die Stadt der Zukunft unter dem Schlagwort „Urban Tech Republic“ neu definieren soll. Eine Teilfläche des Terminals von 10. -12. Tausend Quadratmetern für den neuen Campus reiche da bei weitem nicht aus. Dennoch: „Da gibt es viel, was möglich wäre. An ihrem jetzigen Standort in der Amrumer Straße hat die Beuth-Hochschule keine Perspektive, um in ihrem Segment neue Synergien zu schaffen“, sagte Prof. Schuster.

Prof. Hans-Joachim Aminde bemerkte dazu: „Was die Humboldt-Universität mit den Naturwissenschaften in Adlershof geleistet hat, ist für die viel kleinere Beuth-Hochschule schwer möglich“. Adlershof sei sicher ein Erfolgsprojekt, habe aber auch Zeit für die Entwicklung gebraucht bei einer viel besseren Ausstattung mit Mitteln, als sie für Tegel zur Verfügung stünden.

Ob sich aber eine Mischung von Produktion und Wohnen in einem Quartier mit den gesetzlichen Regelungen vereinbaren ließe, wie sie auch Teil der Aufgabenstellung des AIV-Schinkel-Wettbewerbs war, bezweifelte Dr. Philip Bouteiller. „Dazu sind neue Gesetze nötig“, erklärte er. Die heutige Gesetzeslage zum Immissionsschutz sehe Mindestabstände von Gewerbe- und Industriegebieten zu Wohngebieten vor.

In der Diskussion stellte sich dann die Frage, was das Schlagwort von der „Urban Tech Republic“ eigentlich meint und wie es sich umsetzen lässt. „Saubere“ Technologien, stadtverträgliche Produktionsweisen gäbe es längst, die ein Nebeneinander von Wohnen, Arbeiten und Freizeit erlaubten, erklärte Johanna Schlaack. Technologien für Bereiche wie das Wassermanagement, Energie, Elektromobilität, Recycling oder Internet-Start-up-Firmen. „Branchen, die unglaublich wachsen“, stellte die Stadtforscherin fest. Mit Blick auf die Nachnutzung eines Flughafens in Denver in den 90er Jahren berichtete sie davon, wie dort die Verdichtung des Gebiets mit Wohnungen, Arbeitsplätzen und Schulen zur Belebung und wirtschaftlichen Entwicklung beigetragen habe.

Noch aber stünden die Unternehmen ja nicht gerade Schlange, um in Tegel zu produzieren, bemerkte Ralf Schönball. Zweifel am Interesse von Investoren begegnete Dr. Philip Bouteiller mit Optimismus und verwies auf rund 20 Firmen, die bereits ihr Interesse für den Standort bekundet hätten. „Berlin ist unglaublich interessant. Wo kann man schon 15 Minuten vom Sitz der Bundesregierung produzieren“, umschrieb er die Attraktivität der Lage Tegels. Und verwies auf die erfolgreiche Entwicklung in Adlershof, wo mittlerweile 20.000 Arbeitsplätze entstanden seien.

Die Idee einer weitergehenden Verbindung von Arbeiten und Wohnen überzeugte auch Ephraim Gothe. „Das unterstütze ich sehr“. Ob aber das Planungsrecht dafür genügend Möglichkeiten biete, stellte er ebenfalls infrage. Zudem will der Staatssekretär auch das Gespräch mit einigen Preisträgern über ihre Entwürfe suchen und stellte fest: „Darüber nachzudenken ergibt durchaus Sinn“.

Eine Zuhörerin kritisierte an den Masterplanungen die Konzentration auf das Gebiet rund um den Terminal und die Isolierung von Industrie und Wohnen. „Der AIV-Schinkel-Wettbewerb hat gezeigt, wie es anders gehen kann“, meinte sie.

Derzeit aber ist völlig unklar, wann Tegel schließt und der BER in Schönefeld öffnen wird, was die Planung und Entwicklung schwierig macht. So bietet sich nach wie vor die Chance, die Masterplanungen noch einmal kritisch zu hinterfragen wie an diesem Abend. Denkbar wäre durchaus, dass über individuelle Genehmigungsverfahren eine Mischung aus Arbeiten, Wohnen und Freizeit möglich wird.

Dabei gab es in der Runde keinen Zweifel, dass sich das letzte innerstädtische Flugfeld, wenn auch vielleicht über rund 20 Jahre wie in Adlershof, als „Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort“ etablieren wird. „Auch Tegel wird irgendwann volllaufen“, sagte Prof. Wolfgang Schuster und verwies auf auch Entwicklungen in England und eben Adlershof, wo erst mit Wohngebieten die Belebung einsetzte. Dass aber das Schlagwort von der Urban Tech Republic noch mit Inhalten gefüllt werden müsse, daran ließ er keinen Zweifel. Stadtverträgliche Industrien seien nicht erst für TXL erfunden worden. „Die gibt es weltweit und viele versuchen damit Geld zu verdienen. Es gibt genügend Kapital, um das Flugfeld mit stadtverträglichen Technologien zu entwickeln. Aber dafür braucht man einen Leuchtturm, die Initiative eines Unternehmens als Anstoß“, erklärte Schuster.